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Ende


So eine Scheiße.
Diese Menschen sind wirklich hartnäckig.
Hätte nicht gedacht, daß das so lange dauern würde.
Ach so, ich rede natürlich vom Untergang der Menschheit.
Den habe ich nämlich bereits 1995 vorhergesehen, ja.
Ich war damals eines morgens einfach aufgewacht, hatte mich übergeben und auf der Stelle gewußt:
'Die Menschheit wird untergehen. Dies ist das Ende.'
Genau so hatte ich mich gefühlt.
Tja, und seitdem läßt Homo sapiens es sich immer noch gut gehen und mich warten.
Dabei waren die Zeichen damals unübersehbar gewesen, auch wenn ich mich heute nicht mehr an sie erinnere.
Aber mir war danach sofort klar, daß fortan alles immer nur noch schlimmer werden würde und nichts mehr auch nur den geringsten Zweck hätte - und so geschah es dann ja auch.
Wenigstens bei mir.
Warum allerdings der Rest nicht auch schon längst untergegangen ist, irritiert mich ein wenig.
Es hatte doch so gute Gelegenheiten gegeben.
Der Millennium-Bug zum Beispiel.
Auf den hatte ich wirklich ganz große Hoffnungen gesetzt. Ich sah schon die Mittelstreckenraketen mit ihren defekten Kalendern nur so um den Globus zischen, die Herz-Lungen-Maschinen versagen usw.
Pech gehabt, alles ging gut.
Und nur ich hatte natürlich längst den Anlaß genutzt, vorsorglich mit allen zu brechen, die mir etwas bedeuteten. Ich dachte, das würde mich, wenn es losging, hoffentlich 1) weit genug von dieser Rasse haarloser Affen distanzieren, und mir 2) auch den Abschied ein wenig erleichtern.
Dann ging aber nichts los, und für mich wurde die Warterei seit der Jahrtausendwende so ganz allein ein wenig langweilig.
Ich entschied daher eines Tages, nicht länger passiv meine Zeit mit dem Herbeihoffen des Endes zu vertrödeln, sondern vielmehr aktiv an seiner Herbeiführung mitzuwirken.
Am 1. Mai 2000, um 11:06 Uhr, entwickelte ich spontan die erste Version meiner 'System-überlastungshypothese', die seitdem zahlreichen Verfeinerungen unterworfen wurde.
In ihren Grundzügen basiert sie auf der Annahme, daß jedes gesellschaftliche System durch Treffen seiner Resonanzfrequenz zum Einsturz gebracht werden kann.
Fertig.
Gut, ganz genau weiß ich mittlerweile nicht mehr, was ich zu jenem Zeitpunkt damit gemeint haben könnte, denn kurz darauf hatte ich mich übergeben müssen.
Aber nach dieser Resonanzfrequenz suche ich heute noch.
Alles habe ich versucht, um sie zu treffen.
Ich habe versucht, durch häufige Kontostandabfragen an Geldautomaten die Computersysteme der Bank zu überfordern und damit vielleicht zusammenbrechen zu lassen.
Einmal ist es mir fast gelungen.
Dann habe ich auf einer anderen Bank ein zweites Konto eröffnet und ein paar Daueraufträge über Kreuz so miteinander verknüpft, daß das Geld immer zwischen dem einen und dem anderen hin und her überwiesen wird und dadurch eventuell eine fatale Oberschwingung erzeugt.
Das Experiment läuft aber noch und hat bislang wenig aussagekräftige Daten abgeworfen.
Lediglich die Reibungsverluste durch Kontoführungsgebühren summieren sich langsam.
Ach ja, auf die Banken bin ich deshalb so schlecht zu sprechen, weil sie es mit dem Euro versaut haben.
Es wäre die einmalige Chance gewesen, das Finanzsystem eines ganzen Kontinents auszuradieren und der Weltwirtschaft damit sicherlich den Todesstoß zu versetzten.
Aber nein, wieder ging alles gut!
Sogar mein Zigarettenautomat hat diese scheiß Münzen einwandfrei geschluckt. Ich habe dann einfach eine Büroklammer so tief in den Münzschlitz geschoben, daß er danach blockiert war, und allen erzählt, die es nicht hören wollten, daß daran nur dieser Euro schuld sei und man sollte ihn am besten einfach ablehnen.
Aber sowas muß man tun.
Man muß auch Taxis unter falschem Namen zu weit entfernten Orten bestellen, an denen dann niemand ist, oder sich ein Auto borgen und dann ganz langsam auf der Autobahn fahren, um einen Stau und damit einen schädlichen Versorgungsengpaß zu erzeugen.
Das System muß immer gefordert werden. Solange, bis es nicht mehr kann.
Bis es 'Zing' macht und kaputt ist.
Sonst geht es ja nie voran mit dem Ende.
Sieben lange Jahre hält mich die Menschheit jetzt schon hin mit ihren falschen Versprechungen und globalen Krisen, die dann doch überwunden werden. Was soll denn das?
Ich hatte vorsorglich schon 1995 keine Zukunft mehr, jetzt wird es langsam Zeit, daß die übrige Welt nachzieht, finde ich.
Ich möchte doch als letzten Eindruck von den Menschen nicht den einer hinterhältigen Rasse mitnehmen, die sich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen durch die Weltgeschichte schummelt und am Ende gar als Krone der Schöpfung triumphiert.
Dafür habe ich ’95 nicht so gelitten!
Es ist die Bestimmung von Homo sapiens, unterzugehen, ich weiß das seit damals ganz genau.
Und wenn jeder von uns ehrlich mit sich ist, weiß er das selber ebenso.
Wir alle sind schon mit der Sehnsucht nach Untergang auf diese Welt gekommen.
Der Muttermund spuckte uns aus und wir dachten nur:
'Das ist der Untergang!'
Der Mensch ist quasi genetisch mit subversivem Nihilismus vorbelastet, und auch das ist nur ein Erbe aus einer noch viel früheren Zeit.
Man kann sagen, sogar als es den Menschen noch gar nicht gab, war er bereits vom Gedanken an seinen Untergang gefangengenommen.
Wahrscheinlich hat sich schon Australopithecus morgens beim Aufwachen in seiner Höhle übergeben, sich an den dröhnenden Flachschädel gefaßt und gedacht:
"Das ist das Ende der Menschheit!"
Na, da haben wir uns wohl alle gründlich getäuscht.
Australopithecus, und ich auch.
Aber es muß, es muß!
Ich meine, wie stünde ich denn sonst da?
Und Australopithecus selbstverständlich auch.
Wir haben uns doch beide ‘nen Kopf gemacht deswegen, auch wenn seiner etwas kleiner war.
Aus uns wäre doch niemals das geworden, was aus uns geworden ist, wenn wir gedacht oder auch nur geahnt hätten, was werden würde!
Ach, und von der Dunkelziffer will ich ja gar nicht erst reden!
Was ist mit Herrn Müller von gegenüber? Mit Frau Schmitz von hinten links?
Fragen die sich nicht vielleicht auch mal gegenseitig, wenn sie sich an der Fleischtheke treffen:
"Ist das das Ende?"
Ist es das jetzt schon?
Oder kommt da noch was?
Ich glaube, das ist das Problem.
Daß wir es einfach alle nicht wissen.
Wahrscheinlich hat es schon Australopithecus nicht gewußt.
Und er wird es auch nicht mehr erfahren.
Das unterscheidet ihn, unter anderem, deutlich von Herrn Müller, Frau Schmitz und mir.
Wir könnten es noch.
Wir müßten uns halt nur beeilen.
Und gerade deswegen bin ich ja so frustriert.
Eigentlich wollte ich den Weltuntergang nämlich schon persönlich miterleben.
Das wollte ich auch vor ’95 schon, nur danach habe ich angefangen, mich darauf vorzubereiten und schließlich dabei mitzuhelfen.
Es wäre nämlich sehr unfair, wenn ich beispielsweise vorher stürbe.
Denn selbst wenn der Rest der Welt direkt eine Woche nach mir ins Gras beißen würde - davon habe ich doch nichts, das kriege ich doch nicht mehr mit!
Da wüßte ich ja gar nicht, was wird, da könnte dann ja alles passieren, und ich wäre nicht dabei!
Nein, nein!
Dann wäre es wirklich besser, wir gingen alle zusammen, die ganzen acht Milliarden (oder wo immer wir im Augenblick stehen).
So schiede wenigstens ein jeder von uns mit der Gewißheit aus dem Leben, hinterher auch be-stimmt nichts zu verpassen.
Und das ist doch wirklich ‘ne Menge wert.
Leider lassen sich die anderen alle so schwer davon überzeugen, habe ich im Laufe der Zeit den Eindruck gewonnen.
Gestern abend war ich deswegen nebenbei so niedergeschlagen, daß ich mich grundlos betrinken mußte.
Viel mehr weiß ich nicht, aber als ich heute morgen aufwachte, mußte ich mich übergeben und dachte nur:
'Die Menschheit wird untergehen. Dies ist das Ende.'
Und da war mir klar, daß ich weitermachen mußte.
Gerade komme ich aus der Stadt.
Ich habe vier, nein, fünf Aufzüge in öffentlichen Gebäuden durch Einkleben von Kaugummis in die Lichtschranken vorübergehend unbrauchbar gemacht und damit der Volkswirtschaft womöglich einen nie wiedergutzumachenden Schaden zugefügt.
In derart krisengeschüttelten Zeiten wie diesen kann nämlich schon so eine kleine zusätzliche Erschütterung schnell das Aus für den gesamten maroden Staat bedeuten.
Und wie sich das fortplanzt, können wir uns sicher vorstellen.
Es wäre das Ende.


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