TheCharlotteDaze.de 
          
Startseite

Neuigkeiten

Texte

Bilder

Töne

Sonstiges

Kontakt

Links
>> Texte >> Alles wird gut >> Freitod



Freitod


Letzte Woche wollte ich nicht mehr leben.
Es war beim Frühstück, als ich meinen Kaffee trank und plötzlich die Schicksale all der ausgebeuteten Kaffeepflücker in Kolumbien und sonstwo vor mir sah, so daß ich mit einem Mal meine Erstweltexistenz zutiefst bereuen mußte und mir auch noch etliche andere Dinge einfielen, bei denen ich mich bestimmt höchst unkorrekt benahm, und umgehend erschien mir mein Dasein auf diesem Planeten nur noch als eine sinnlose Farce, die es ganz dringend zu beenden galt, sollte aus dieser Menschheit noch je etwas Vernünftiges werden.
Im Bestreben also, meinem schäbigen, kleinen Kapitalistenleben endlich ein Ziel zu verleihen, begab ich mich daran, über eine Methode nachzusinnen, mich von dieser Welt zu entfernen.
Irgendwo hatte ich einmal gelesen, daß die angenehmste Todesart das Erfrieren wäre. Man würde ganz sanft und friedlich in eine Art Dämmerschlaf sinken, während dessen man sogar die Chance hätte, Gott persönlich zu begegnen, bevor man endgültig zu einem starren Klotz würde.
Das klang verlockend, und obwohl ich immer sehr leicht unter übergroßer Kälte zu leiden begann, wollte ich natürlich für meinen Tod nur das Beste, und darüber hinaus hatte ich von anderen Todesarten bereit so viel Schlechtes gehört, daß sie mich praktisch von vorneherein abstießen.
Beim Erhängen konnte man sich schwer in der Tragkraft seines selbsterwählten Galgens verschätzen und statt des Todes eine böse Steißbeinprellung davontragen. Erschießen kam in Ermangelung einer Feuerwaffe für mich ohnehin nicht in Frage, und die Pulsadern aufschneiden konnte ich mir auch nicht, da ich eine Phobie vor scharfen Gegenständen besaß.
Ich entschloß mich also dazu, mich erfrieren zu lassen, was allerdings mit einigen Schwierigkeiten verbunden war, denn wir hatten Mitte August, und draußen herrschten 26 Grad.
Nun hatte ich aber nicht vor, mit meinem Freitod bis Januar zu warten, und mußte mir demnach etwas einfallen lassen.
Ich begann, meinen Kühlschrank auszuräumen und fand dabei den Joghurt wieder, den ich seit einem halben Jahr verloren glaubte, nahm die Einlegeroste heraus und versuchte, mich hineinzusetzen.
Es war zugegebenermaßen recht eng, insbesondere ich mir vorher noch meine Daunenjacke angezogen hatte, wollte ich doch wenigstens einigermaßen behaglich erfrieren.
Nachdem ich etwa eine halbe Stunde lang in meinem Kühlschrank gehockt hatte, bekam ich nicht nur einen Krampf in der linken Wade, sondern fiel mir auch ein, daß ich den obligatorischen Abschiedsbrief zu schreiben vergessen hatte.
Unmöglich konnte ich doch jemandem zumuten, mich tot in meinem Kühlschrank vorzufinden, ohne zu wissen, was Sache war.
Also kroch ich mühsam wieder ins Freie und stieß mir dabei heftig den Kopf am Gefrierfach.
Schnell kritzelte ich den Abschiedsbrief nieder und fügte unter P.S. noch hinzu, daß man mir meine krakelige Handschrift bitte verzeihen möge, aber ich hätte bereits seit einiger Zeit in meinem Kühlschrank gesessen und daher etwas steife Hände.
Sollte ich nun allerdings wieder zurückkriechen in dieses wirklich sehr enge Kühlmöbel? Inzwischen erschien es mir als eine recht entwürdigende Todespose, derart zusammengekauert dahinzuscheiden, und sicherlich hätte ein würfelförmiger Sarg auch einen entsprechenden Aufpreis gekostet.
Mir kam eine Idee.
Ich packte den Abschiedsbrief ein und begab mich umgehend in den naheliegenden Supermarkt, wo ich die Tiefkühlabteilung aufsuchte, mich zu den Pizzen und Fischstäbchen in die Kühltruhe legte, ordnungsgemäß die Hände über dem Bauch faltete und auf mein Ableben wartete.
Sehr bequem war es dort auch nicht, aber lange hatte ich es ja hoffentlich auch nicht mehr auszuhalten.
Kaum zehn Minuten waren vergangen, da wurde ich in meinem Sterbeprozeß von einem jungen Mann gestört, der mich ansprach.
"Entschuldigung, ich hätte gerne einmal Quattro Staggioni."
"Aber sicher", entgegnete ich. "Die vier Jahreszeiten liegen genau unter meiner linken Gesäßbacke, und nehmen Sie vielleicht eher eine von unten. Die oberste dürfte durch meine noch vorhandene Körperwärme inzwischen leicht angetaut sein."
"Was tun Sie hier eigentlich?" fragte mich der Mann.
"Ich? Ich sterbe."
"Ausgerechnet auf meinem Abendessen?"
Langsam begann ich, mich durch diesen Kunden belästigt zu fühlen, um so mehr, als er auch noch Gesellschaft von einer Hausfrau bekam, die offensichtlich den Rahmspinat suchte.
"Pardon, könnten Sie vielleicht etwas rücken, ich glaube, Sie liegen auf dem Spinat."
"Nein", entgegnete ich, "der Spinat befindet sich in der Gemüsetruhe hinter Ihnen. Hier gibt es im wesentlichen Pizzen."
"Wenn Sie mir eine Quattro Staggioni rausreichen könnten..."
"Haben Sie den Spinat umgeräumt? Er lag sonst immer hier..."
Eine dritte Person wurde aufmerksam und schaute den ersten beiden über die Schultern.
"Was tut der Mann da?"
"Er liegt auf den Pizzen."
"Und dem Spinat."
Da riß mir jetzt aber doch der Geduldsfaden.
Ich fuhr hoch und schrie die anderen unzivilisiert an:
"Verdammt, hier gibt es keinen Spinat! Ich würde doch niemals auf Spinat sterben wollen! Sie gehen jetzt da rüber und schauen in der anderen Truhe nach! Und Sie haben hier Ihre Vier Jahreszeiten und verziehen sich! Ja, und Sie, Sie wollen doch sowieso nur gaffen, oder?! Kann man denn hier nicht mal in Ruhe sterben?!?!?!"
Mein Wutausbruch hatte Wirkung gezeigt.
War doch nunmehr auch der restliche Supermarkt noch auf mich aufmerksam geworden und versammelte sich zunehmend um die Pizzatruhe, in der ich eigentlich nur in Frieden hatte erfrieren wollen.
Die von mir in meiner Nervenlosigkeit angepampten Personen empörten sich öffentlich über meine Unflat, und der junge Mann wollte zudem noch seine Pizza wieder umtauschen, da ich ihm versehentlich eine Margherita in die Hand gedrückt hatte.
Der Auflauf aus tuschelnden Menschen wurde immer immenser, bis sich schließlich der Geschäftsführer durch die Menge nach vorne drängte, um nach dem Rechten zu sehen.
"Was tun Sie in dieser Kühltruhe, mein Herr?" wollte nun auch er noch wissen, aber ich war inzwischen zu aufgebracht, um mit ihm noch gesetzt diskutieren zu können.
"Sie sind mir genau der Richtige!" attackierte ich ihn.
"Sie gehören doch mit zu diesem ausbeuterischen System! Was verkaufen Sie denn hier für Mist in Ihrem Laden?! Eier von gequälten Hühnern und pestizid-verseuchten Tee..!"
Eine Rentnerin nahm ihren Sechserpack Eier aus dem Einkaufswagen und beäugte ihn kritisch.
"Ist mit den Eiern was nicht in Ordnung?"
"Sie sind schuld daran, daß ich nicht mehr leben will, mit Ihren Plastiktüten, Styropor-Verpackungen und Weißblechdosen..!"
"Verzeihung, was soll mit den Eiern sein?"
"Sie bauen Arbeitsplätze ab und hinterziehen Steuern, Sie betrügen und bescheißen doch an allen Ecken und Enden, und jetzt wollen Sie mir auch noch meinen letzten Weg vermiesen! Das macht doch keinen Spaß mehr! Wissen Sie was, ich scheiß auf Ihren Spinat und Ihre Pizzen und Ihren ganzen dreckigen Konsummüll, Sie können mich mal von ganzem Herzen am..!"
Während meiner letzten Sätze waren einige Lagerarbeiter durch eine Hintertür gekommen, hatten mich an Armen und Beinen gepackt, aus der Kühltruhe gehoben und zum Ausgang getragen, wo sie mich fallen ließen und ich mir eine böse Steißbeinprellung zuzog.
"... am Arsch lecken!!!"
Fäusteschüttelnd wandte ich dem Supermarkt den Rücken zu und begab mich auf den Heimweg.
Hier würde ich nie wieder einkaufen!
Auf dem nächsten Zebrastreifen wurde ich von einem Auto überfahren.


zum Seitenanfang