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Fräulein Immerschön


Fräulein Immerschön wohnte nebenan, machte ihrem Namen alle Ehre und nur hin und wieder einmal durch seltsame Geräusche aus ihrer Wohnung auf sich aufmerksam.
Manchmal klang es wie zu langsam abgespielte Tonbandaufzeichnungen von Büttenreden, manchmal wie gewöhnlicher Sex.
Auch, daß ihr Briefkasten im Hausflur bei Nacht von innen heraus grün fluoreszierte und tagsüber unaufgefordert eingeworfene Webesendungen von alleine wieder ausspuckte, störte zunächst niemanden. Erst als die permanent ausgespienen Blitzpizzaprospekte und Heizdeckenverkaufsfahrtenvierseitenfalter sich im Flur so hoch schichteten, daß es Probleme bereitete, die Haustür aufzubekommen, schritt der Hauswart ein, und von da an weigerte sich auch der Briefträger nicht länger, unser Haus mit Post zu beliefern.
Bedenken kamen mir erst, als Fräulein Immerschön meinen Hund im Treppenhaus so komisch ansah und ihre Pupillen sich dabei schlitzartig verengten.
Einen Tag später war der Hund tot.
Gut, ich hatte ihn versehentlich beim Ausparken selbst überfahren, und es fällt auf den ersten Blick nicht leicht einzusehen, was daran Fräulein Immerschöns Schuld gewesen sein soll, aber das war ja auch erst der Anfang.
Dann jedoch, zwei Jahre später, Fräulein Immerschön wohnte schon lange nicht mehr nebenan, überfuhr ich erneut meinen Hund beim Ausparken (nicht den gleichen, einen neuen selbstverständlich).
Wieder war es ein Vorsteher-Rüde gewesen, und wieder das gleiche Auto, meines nämlich.
Da wurde ich dann doch langsam stutzig.
Diese frappierenden Parallelen konnten kein Zufall sein, und ich beschloß, der Sache nachzugehen.
Ich interrogierte also meine neuen Nachbarn, ob sie eventuell etwas über den Verbleib ihrer Vormieterin wüßten, und sie sagten, ja, sie würde jetzt in einem Wohnwagen am Rand der Stadt leben und sich Esmeralda nennen.
Aha! dachte ich. Und: So, so.
Und vielleicht auch noch 'Sieh an', aber dessen bin ich mir nicht mehr sicher.
Unbeirrt fuhr ich also zum Stadtrand, um Fräulein Esmeralda Im-merschön in ihrem Wohnwagen aufzusuchen, fand sie aber nicht, sondern nur heraus, das meine neuen Nachbarn mich wohl belogen hatten, und das warf ein ganz neues Licht auf die Sache.
Nebenbei registrierte ich, daß sich aus den Worten Licht und Sache bzw. Sicht und Lache unter Umständen ein Schüttelreim erzeugen ließe, entschied mich aber angesichts des Ernstes der Lage dazu, derartig alberne Spielerei-en auf eine andere Gelegenheit zu vertagen.
Stattdessen begann ich, nach allen Regeln der Kunst eine Versuchsreihe aufzuziehen, besuchte Tierheime und erlöste einen Hund nach dem anderen gegen die entsprechenden Summen Geldes von seinem Drahtkäfigdasein, um ihn mit nach Hause zu nehmen und beim Ausparken zu überfahren.
Es funktionierte jedes Mal, auch wenn ich mitunter mehrere Anläufe benötigte und hin und wieder sehr präzise zielen mußte.
Damit war es heraus.
Ich war verflucht.
Fräulein Esmeralda Immerschön war in meinem Leben, und die Vorstellung ließ mir mulmig werden.
Im aufrechten Bestreben um eine Befreiung von den finsteren Mächten, die mich heimgesucht hatten, legte ich mir statt eines weiteren Hundes nunmehr eine kleine Handfeuerwaffe zu, mit der ich meine neuen Nachbarn erneut besuchte.
Derart in meiner argumentativen überzeugungskraft gestärkt gelang es mir, weitere Einzelheiten über jene Frau aufzudecken, und zwar, daß, wenn meine Nachbarn mich schon nicht belogen, dann doch wenigstens einen entscheidenden Teil verschwiegen hatten.
Wußten sie nun doch zu berichten, daß wir hier eigentlich von Fräulein Esmeralda von Immerschön sprachen.
Und da fiel es mir wie Schuppen aus den Augen.
Auf spanisch heißt schön nämlich bello, exakt der Name all meiner Hunde (es sei denn, es waren Weibchen, dann hießen sie Bella, aber das macht keinen Unterschied), auch wenn Hunde in der Regel nicht Bello oder Bella heißen, weil sie so schön sind, sondern weil sie bellen, was aber seinerseits im Niederländischen anrufen heißt.
Ich griff also zum Telefonbuch, und da sah ich es dann auch schwarz auf schmuddelweiß: es gab keine Esmeralda von Immerschön.
Nebenbei bemerkt war dies der Moment, an dem ich herausfand, daß es in dieser Stadt auch kein einziges Kentucky Fried Chicken-Restaurant gab, doch aller Wahrscheinlichkeit nach bestand hier keinerlei Zusammenhang.
Oder irrte ich mich?
Die Sache mußte zu einem Ende gebracht werden, ob es nun ein gutes war oder nicht.
Ich begab mich also ein letztes Mal ins Tierheim, wo sie mich bereits ansahen, als würde ich all die Hunde zu Hause in den Ofen schieben und verspeisen, und holte mir noch einen Fiffi nach Hause, einen glatzköpfigen ChowChow, jene Rasse, die wegen ihrer blauen Zunge immer aussieht, als würde sie gerade ersticken.
Bevor ich ihn jedoch überfuhr, entschied ich mich zu einem gewagten Versuch.
Ich zeigte Bello, wie ich ihn getauft hatte, den ehemaligen Briefkasten von Fräulein Immerschön, der nun schon seit so langer Zeit nicht mehr spie, sondern nur noch sabberte, und flüsterte "Such! Such!".
Bello kläffte ein- bis dreimal, dann biß er mich und rannte davon.
Erst im darauffolgenden Spätsommer kehrte er zu mir zurück, allerdings als Katze, da Hunde in der Regel zu blöd sind, nach so langer Zeit noch den Rückweg nach Hause zu finden.
Darauf war ich nicht vorbereitet, taufte die Katze folglich Bello, fuhr sie um, schmiß sie weg und suchte mir eine neue Wohnung. Kaum war ich umgezogen, hatte ich mich auch schon verliebt, es wurde Winter, ein sehr warmer und weicher im übrigen, und ich verlor jegliches Interesse an Haustieren in welcher Form auch immer.
Der Frühling kam, Kentucky Fried Chicken errichtete nur drei Straßen weiter eine Filiale und ich dichtete voll Überschwang:

     Frühling, Blumen, Sonne, Wein
     Soll'n uns eine Wonne sein

Ja, das war's.



Das letzte Kettensägenrudel


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